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Neue Ansätze sollen die Pflege attraktiver machen

Ein Beruf mit Tiefe: Die Pflege. Ausbildungsklassen für Pflegeberufe füllen sich. Umsteiger kommen aus Gastro und Handel, andere aus der Werkstatt.

Max Lainer hat Mechaniker gelernt und schult nun um: Er wird Pflegefachassistent.
Max Lainer hat Mechaniker gelernt und schult nun um: Er wird Pflegefachassistent.

Er habe immer schon eine soziale Ader gehabt, sagt Max Lainer aus Saalbach im Pinzgau. Doch zunächst lernte er Mechaniker und verpflichtete sich freiwillig beim Bundesheer. Nun hat den 21-Jährigen doch wieder die Neigung eingeholt: Lainer absolviert gerade die zweijährige Ausbildung zur Pflegefachassistenz am Bildungszentrum (BIZ) der Salzburger Landeskliniken.

Lainer lernt medizinische Begriffe und übt Handgriffe und Anwendungen wie das Setzen von Kathetern oder das Legen von venösen Zugängen. Die Ausbildung sei anspruchsvoll. "Viele glauben, die Pflege, das ist ein bisschen Waschen, Betten herumschieben, Patienten heben, mit ihnen duschen gehen. Es ist aber viel mehr, man begleitet Menschen vom ersten bis zum letzten Atemzug." Das wurde dem jungen Mann im Praktikum in einem Pflegeheim klar.

Pflege ist körperlicher Kontakt mit fremden, kranken, hilflosen Menschen

Die Konfrontation mit Gerüchen und Ausscheidungen, mit Nacktheit und Intimität berührt eigene Gefühle von Scham und Befremdung. Das ist nicht jedermanns Sache. Auch er habe anfangs ein bisschen geschluckt, sagt der junge Mann. "Das legt sich aber, wenn das Vertrauen kommt. Dann kann man mehr machen und zulassen."

In der Hausgemeinschaft mit vier Männern sei er auf pflegerischer Seite der einzige Mann gewesen - was die männlichen Bewohner ungemein geschätzt hätten. Auch den Tod einer älteren Heimbewohnerin hat der 21-Jährige miterlebt und begleitet. "Ich habe ihr über die Wange gestrichen, dann hat sie den letzten Atemzug gemacht." Anschließend wurde die Frau neu gekleidet und hergerichtet, das Team hat sich zusammengesetzt und geredet. Wie es ihm gehe? Ob alles passe? Im Ethikunterricht beschäftigt man sich mit den belastenden Aspekten des Pflegeberufs.

Förderungen locken aus schlecht bezahlten Jobs in die Pflege

Gesetzgeber, Sozialträger und AMS fördern Pflegeausbildungen mit Stipendien von 600 bis 1400 Euro monatlich. 374 Auszubildende lernen aktuell im Bildungszentrum am Müllner Hügel, sie können in den SALK um 2,50 Euro vergünstigt zu Mittag essen oder sich im Wohnheim um 70 Euro im Monat ein Einbettzimmer mieten.

BIZ-Leiter Markus Widlroither: "Wir können nicht mehr wie früher aus Hunderten Bewerbern aussuchen, aber seit gut einem Jahr geht der Trend steil nach oben. Bei schlechter Wirtschaftslage sehnen sich die Leute nach einem sicheren Beruf." Corona und der Impfstreit haben auch die Pflege erschüttert - umgekehrt haben in der Krise viele Frauen die schlecht bezahlten Jobs in Gastronomie und Handel verlassen, um in der Pflege neu durchzustarten. Als Pflegefachassistenz beginnen sie mit 3020 Euro brutto, dazu kommen Wochenend- und Feiertagszuschläge.

Onlineplattform HeldYn vermittelt 150 selbstständige Pflegekräfte

Es brauche neue Modelle, meinten auch die beiden leitend tätigen Diplomkrankenpflegerinnen Simone Mérey und Sabine Niedermüller und gründeten in Wien das Start-up HeldYn. Die Onlineplattform vermittelt stundenweise Einsätze und ermöglicht Pflegekräften ein selbstständiges, flexibles Arbeiten.

"Wir haben überlegt, was die Leute im Beruf hält."
Sabine Niedermüller
HeldYn

Das Angebot: Körperpflege, medizinisch-pflegerische Leistungen, Palliative Care, Physiotherapie, Ergotherapie. "Wir haben uns überlegt, was hält die Leute im Beruf? Die Bedingungen sind ja immer schlechter geworden, alles war schon lange am Limit. Viele haben die Pflege komplett verlassen, sind in andere Berufe gegangen, Covid war ein Brandbeschleuniger", schildert Niedermüller.

HeldYn: Arbeiten auf selbstständiger Basis mit viel Wertschätzung und Respekt

Der Onlinedienst beschäftigt inzwischen 150 Pflegekräfte mit Fokus auf Wien, Niederösterreich, das Burgenland und die Steiermark. Sie arbeiten auf selbstständiger Basis, mit freier Zeiteinteilung.

Es gehe primär um akute, punktuelle Einsätze, so Niedermüller. "Ein Mensch ist pflegebedürftig und hat einen Notfall: einen verstopften Harnkatheter. Er muss die Rettung anrufen und stundenlang in der Ambulanz warten für eine Tätigkeit, die in acht Minuten erledigt ist." Je nach Leistung kostet die Stunde zwischen 39 und 128 Euro, die Pflegekraft verdient 80 Euro pro Stunde, Assistenten 45 Euro. Es gebe Vorsprachen bei den Sozialträgern bezüglich einer Kostenübernahme für die Klienten, so Mérey. "Da gibt es leider nicht so offene Ohren."

Einer dieser neuen Freelancer ist Diplomkrankenpfleger Andreas Linder aus Wien. Der 28-Jährige mit Schwerpunkt Psychiatrie macht "Hausbesuche bei Menschen, die nicht mehr allein zurechtkommen. Die 24-Stunden-Pflege fällt aus, Angehörige haben keine Ressourcen oder keine Kraft oder weigern sich, die Pflege zu übernehmen." Linder macht im Spital 110 bis 120 Stunden und dazu bis zu 20 freiberuflich im Monat. Er fährt mit den Öffis oder dem Rad zu den Patienten, versteuert das Zusatzeinkommen selbst, hat eine Berufshaftungsversicherung abgeschlossen. "Das war alles Neuland. Aber es ist sehr attraktiv, so zu arbeiten. Es gibt viel Wertschätzung und Respekt, wenig Hierarchie."

"Es braucht mehr als Kräfte aus Kolumbien."
Simone Mérey
HeldYn

Das Gesundheitssystem brauche tiefgreifende Veränderungen, meint Simone Mérey. "Es braucht mehr als die 24-Stunden-Betreuung aus Rumänien plus das Anwerben von Kräften aus Kolumbien und den Philippinen. Es gibt viele tolle österreichische Diplompfleger. Mit neuen Ideen verhindert man unnötige Einweisungen und Drehtürpatienten."